Samstag, März 27, 2004
 
Gesagt, getan. Hier die nächsten 3 popkulturjunkie-TV-Neustart-Kritiken:

"Was erlauben Strunz?" / N24 / montags, 21.30 Uhr - Start: 22. März 2004
Die Polit-Talkshow mit dem lustigen Namen. Was haben wir gelacht. Egal, keine Vorurteile. Benannt ist sie nach dem Moderator und "Bild am Sonntag"-Chefredakteur Claus Strunz, der als Talkshow-Leiter bereits im "Grünen Salon" von n-tv Kollegin Andrea Fischer in den Schatten gestellt hatte. Diesmal befragt er also allein Politiker. Und das macht er recht gut. Premieren-Gast war Oskar Lafontaine, hauptberuflicher Talkshowgast, der auch hier seine unproduktiven Plattitüden von sich gab. Glücklicherweise wurde nach ungefähr der Hälfte der Sendung noch Klaus Kocks eingewechselt, der Lafonatine etwas Contra gab. Ein festes, etwas seltsames Element der neuen Show ist das Gästebuch: Strunz schießt Polaroids von den Gästen, die schreiben ein paar Worte an den Kanzler auf die Fotos und heften sie einer Pappfigur Schröders an. Wohl der Versuch, etwas Neues in das Genre der Polit-Talkshows zu bringen. Naja. Dennoch ist die Premiere der Show recht gut gelungen. Von mir: 7 von 10 Punkten.

"Einsatz täglich - Polizisten ermitteln" / ZDF / U5 Game & Show / werktäglich, 16.15 Uhr - Start: 8. März 2004
Irgendwie putzig, diese neue ZDF-Serie. Ein öffentlich-rechtlicher Versuch, auf das überflüssige Genre der Crime-Soaps, also billigst produzierter Krimiserien, aufzuspringen. Hauptcharaktere sind fünf Berliner Polizisten, die im Revier und auf der Straße Fälle lösen. Von der privaten Konkurrenz setzt sich "Einsatz täglich" vor allem dadurch ab, dass die Fälle nicht alle mit Sexual- oder Gewaltdelikten zu tun haben. Stattdessen gibt es fünf menschliche Polizisten, die sich mit Alltäglichem auseinandersetzen müssen. Keine pseudo-coolen Typen wie Rechtsanwalt Lenßen von SAT.1. Allesamt dargestellt übrigens von Leuten, die weit entfernt davon sind, ernsthafte Schauspieler zu sein. Aber gerade dieser Dilettantismus verleiht der Serie einen gewissen Charme. Den Charme des Amateurhaften. Im Daytime-Fernsehen ist "Einatz täglich" eine der besten Sendungen derzeit - aber das ist auch nicht schwierig. Mehrfach sehen muss man die Serie aber natürlich trotzdem nicht. Immerhin gibt's von mir 4 von 10 Punkten.

"Unter weißen Segeln" / Das Erste / novafilm fernsehproduktion / freitags, 20.15 Uhr - Start: 5. März 2004
"Traumschiff", nur noch viel viel schlechter. Unglaublich, dass sowas gesendet wird. Gezeigt werden Geschichten, die irgendwelche Leute bei einer Kruezfahrt auf einem Segelschiff erleben. Immer dabei: ein fester Cast aus Schauspielern, die beweisen, dass sie unheimlich schlecht sein können. Darunter Leute wie Kapitän Robert Giggenbach und "Cruise-Direktorin" Christine Neubauer, von denen ich eigentlich dachte, dass sie gute Schauspiler sind. Dazu kommt die übliche Dosis an prominenten Kollegen, die das Rollenangebot wohl eher wegen dem schönen Wetter als wegen der beruflichen Heruasforderung angenommen haben. Die Geschichten sind flache Aneinanderreihungen von Klischees, die Dialoge so dumm, dass man sich gar nicht vorstellen möchte, wie sie zu Papier gebracht wurden. Und was man sich noch nicht vorstellen möchte: Wieviel Gebührengeld ein einziger dieser Film kostet. Und was gibt's von mir für einen solchen Schrott? 0 von 10 Punkten.

 
Bin gerade im Schreibfluss. Daher gleich noch 3 popkulturjunkie-TV-Neustart-Kritiken hinterher:

"Simple Life" / ProSieben / 20th Century Fox+Bunim-Murray Productions/ mittwochs, 22 Uhr - Start: 24. März 2004
"Simple Life" lief im vergangenen Dezember und Januar beim US-Network Fox. Die Reality-Serie war so erfolgreich, dass bereits eine zweite Staffel geordert wurde. ProSieben zeigt nun aber erstmal die erste Season. In "Simple Life" müssen die beiden verwöhnten Gören Paris Hilton (Hotel-Erbin) und Nicole Richie (Lionel-Tochter) 30 Tage lang in der Provinz leben. Weit entfernt vom Luxusleben. Sie wohnen auf einem Bauernhof, müssen ihr eigenes Geld verdienen und zeigen, dass sie mehr drauf haben als man meint. Die Serie ist sehr unterhaltsam - es gibt viele real-satirische Szenen. Das Brillante an "Simple Life" ist nämlich, dass sehr schnell klar wird, dass es nicht die Dorfdeppen aus der amerikanischen Provinz sind, über die man sich lustig macht, sondern die Hilton und Richie. Während die Provinzbevölkerung ihr bescheidenes Leben lebt, ohen sich über irgendwas zu beklagen, stellen die beiden Frauen schon in den ersten Minuten unter Beweis, wie lebensuntüchtig sie sind. Ob allerdings eine zweite Staffel mit der selben Besetzung in den beiden Hauptrollen ähnlich komisch wird, muss sich erst zeigen. Für die erste Staffel gibt es zumindest 7 von 10 Punkten.

"Unser Traum vom Haus" / Vox / / dienstags, 20.15 Uhr - Start: 23. März 2004
Der nächste Vertreter des Boom-Genres Doku-Soap. Wieder einmal werden Familien bei dem begleitet, was eigentlich die Verwirklichung ihres großen Traums werden sollte, aus verschiedenen Gründen aber eher einem großen Alptraum gleicht: dem Hausbau. Die Familien wurden von Vox gut ausgesucht, die Sendung ist daher recht abwechslungsreich. Beobachtet werden sie bei Stress mit Handwerkern, Problemen beim Einrichtungs-Einkauf und dem Kampf mit dem deutschen Baugenehmigungs-Irrsinn. Dennoch stellt sich recht schnell ein Dejà-vu-Gefühl beim Zuschauer ein: Been there, seen that. Denn besonders kreativ ist es nun nicht mehr, Hausbau-Doku-Soaps zu produzieren. Es gab schon zu viele. Weil die Sendung aber ganz gzt gemacht ist, gibt's 6 von 10 Punkten.

"Leute am Donnerstag" / rbb Fernsehen / donnerstags, 21 Uhr - Start: 4. März 2004
Eine dieser typischen Talkshows, die sich in allen Dritten Programmen der ARD tummeln. Gäste aus Politik, Fernsehen, Literatur, Kunst stellen sich dem Small-Talk im Studio. Zu unterscheiden sind all diese Shows nur durch die Moderatoren. Der rbb hat dabei auf ein sehr seltsames Duo gesetzt: Die in den vergangenen Monaten nicht besonders vermisste Ulla Kock am Brink und der launige, amüsante Jörg Thadeusz ("extra 3"). Frau Kock am Brink nervt leider durchgehend, stellt immer wieder ihre Unwissenheit zu bestimmten Themen unter Beweis. Leider wirkt auch Thadeusz irgendwie gehemmt. "Leute am Donnerstag" ist nunmal Mainstream-Fernsehen für eine breitere Zielgruppe - da meint er wohl, nicht so frech sein zu dürfen, wie in seinen anderen Sendungen. Schade. Aber so gibt's nur 3 von 10 Punkten.

Und weil heute "Wetten, dass..?" läuft und die Konkurrenz daher nur Schrott sendet, hab ich noch viel Zeit, weitere Neustarts zu begutachten und nachher darüber zu schreiben. Stay tuned!

 
Nach einer kleinen Pause kommen hier mal wieder 3 popkulturjunkie-TV-Neustart-Kritiken:

"Ed" / SAT.1 / NBC Studios+Worldwide Pants Inc.+Viacom Productions / samstags, 15 Uhr - Start: 27. März 2004
"Ed", ein Comedy-Drama-Mix aus den USA lief dort vom Oktober 2000 bis Februar 2004 mit insgesamt 83 Folgen beim Network NBC. Hauptfigur ist Ed Stevens, ein New Yorker Anwalt, der in den ersten Minuten der Serie gefeuert wird und mitbekommt, dass seine Frau mit dem Postboten schläft. Stevens beschließt, in seine Provinz-Heimatstadt Stuckeyville zurückzukehren und kauft dort ein Bowling Center. Die Voraussetzungen für eine Serie mit komischen Szenen, voller skuriler Charaktere und Geschichten, die alles abdecken, was das Leben bereithält. "Ed" ist nett. Aber wirklich nur nett. Glücklicherweise sind die witzigen Momente der Serie nicht zu witzig, sondern amüsant ohne Holzhalmmer-Humor. Mich persönlich nervt die Hauptfigur leider etwas - keine gute Voraussetzung, eine Serie zu mögen. Und letztlich fehlt "Ed" auch der letzte Kick zur sehr guten Serie. Dennoch: 6 von 10 Punkten.

"Expedition ans Ende der Welt" / arte / Dirk Steffens TV-Produktionen / werktäglich, 19 Uhr - Start: 22. März 2004
Eine dreiteilige Doku-Reihe über die Antarktis, ihre Natur, ihre Tiere und die Forscher, die dort leben. Gefilmt im Hochglanz-Format HDTV. Gut, aber nicht gut genug um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Die BBC ist mit Doku-Reihe wie "Unser blauer Planet" eben doch unschlagbar. Trotzdem 6 von 10 Punkten.

"Opas letzter Wille" / Kabel 1 / Tresor Television / donnerstags, 20.15 Uhr - Start: 18. März 2004
Katastrophe. Eine völlige Katastrophe. Ich weiß nicht, warum Kabel 1 krampfhaft versucht, mit eigenproduzierten Shows sein Image als Retro-Sender zu versauen. Was beim "J-Game" meiner Meinung nach noch funktioniert hat, geht bei "Opas letzter Wille" komplett in die Hose. Worum geht's? Ein älterer Herr macht sich Gedanken über sein Erbe. Das macht er aber nicht dort, wo er es tun sollte - zu Hause in aller Ruhe. Sondern im Fernsehen vor laufenden Kameras. Er verbringt zusammen mit seiner Familie ein Wochenende auf einem Schloss. Dort versucht er durch kleine Psycho-Spielereien rauszufinden, wer aus seiner Sippe sein Nachlass tatsächlich verdient hat. Was dabei rauskommt, ist eine zutiefst langweilige Sendung, die noch dazu Dinge zeigt, die man sonst nur aus beschissenen Nachmittags-Talkshows kennt: Familien, die sich selbst zerstören. "Opas letzter Wille" ist vielleicht nicht so katastrophal wie die Entwicklung, die das ehemals gute "Big Brother" momentan einschlägt, aber immer noch katastrophal genug für 1 von 10 Punkten.

Übrigens werde ich hier nichts mehr über neue Kinderfernsehsendungen schreiben. Und über neue Volksmusiksendungen ja ohnehin nicht. Das wäre vertane Zeit, die sinnvoller genutzt werden kann.

 
Und noch eine Passage aus dem Artikel:

"Wenn aber eine ganze Generation beginnt, ihre Musik illegal aus dem Netz zu saugen oder von Freunden brennen zu lassen, dann bringt sie diesen Markt allmählich zum Verschwinden. Zumindest für die eigene Altersgruppe. Die Industrie wird sich auf jene konzentrieren, mit denen sie noch Geld verdienen kann: Menschen, die zu alt, technisch zu unbegabt, zu ehrlich oder einfach zu reich sind, um sich Musik auf illegalem Weg zu besorgen. Diese Käufer bestimmen dann auch, welche Platten gehört, vermarktet und überhaupt noch herausgebracht werden. Im heiligen Kult des Pop ist dies die größte anzunehmende Katastrophe: Dass junge Menschen nur noch das hören können, was ihren Eltern gefällt. Weil sie ihren eigenen Markt zerstört haben, und weil es nichts anderes mehr gibt.

Dieser Jugend muss die Mahnung eines großen alten Indianerhäuptlings gelten, die wir hier nur leicht abgewandelt wiedergeben: Erst wenn der letzte Kopierschutz geknackt, der letzte Song geladen, die letzte CD gebrannt ist, werdet ihr feststellen, dass man Phil Collins nicht essen kann."

 
Eine lustige Passage aus dem sehr lesenswerten Artikel meines Lieblings-Autoren Tobias Kniebe aus der "Süddeutschen" von heute. Thema übrigens: "Das Ende der Jugendkultur: Die Alten sind das neue Zielpublikum der Pop-Industrie":

"Durchschnittsalter der Popkonsumenten, aufgeschlüsselt nach Interpreten. Sarah Connor: 27 Jahre! Alexander Klaws: 30!
Was dann doch ein Schock ist. Denn anders ausgedrückt bedeutet es folgendes: 50 Prozent aller Menschen, die schon einmal einen Tonträger von Alexander Klaws erworben haben, hatten das 30. Lebensjahr bereits überschritten. Diese Käufer waren pickelfrei, standen fest im Leben und hatten mindestens drei Jahrzehnte Zeit, ihr Gehör zu schulen, ihren Geschmack zu bilden, ihren Platz in dieser Gesellschaft zu finden - und dann das."

Den ganzen Artikel kann man über das tolle neue suedeutsche.de-E-Paper-Tool lesen:
http://epaper.sueddeutsche.de/digiPaper/html/start.html

Donnerstag, März 25, 2004
 
Hurra. Die meta-kritik-Seiten mit den Kinostarts von heute sind online. Gewinner der Woche: "Starsky & Hutch" mit erstaunlich guten Kritiken.

 
Es ist schon faszinierend, wie man den Tag mit nur einem Song verbringen kann (incl. der ca. 7 Remixe natürlich).

You're so flamboyant
the way you live

 
Mein Mega-Ohrwurm der Stunde: "flamboyant" von den Pet Shop Boys. Den etwas blöden Clip mit der brillanten Musik gibt's hier: http://www.petshopboys.co.uk/news/PUP_Flamboyant.asp?id=1

Mittwoch, März 24, 2004
 
Wieso ist es eigentlich schon 3 Uhr 15 und ich bin noch kein bisschen müde? Dabei muss ich morgen arbeiten. Liegt's an dem brillanten 12 Jahre alten Sonic Youth-Lärm, der aus meinen Boxen kommt? Ich glaube, ich sollte mich jetzt mal in mein Bett zwangseinweisen.

 
So. Jetzt sind endlich die meta-kritik-Seiten mit den Kinostarts vom letzten Donnerstag online. Die wichtigsten Kritiken zu den einzelnen Filmen hab ich diesmal so lang wie irgend möglich beigefügt. Vor allem bei Gibsons Desaster "Passion fo Christ". Das nächste meta-kritik-Update gibt's dann eventuell schon morgen...

Dienstag, März 23, 2004
 
Berlin, die Dritte: Zu guter Letzt noch ein Restaurant-Tipp (!). Ich war jetzt zum zweiten Mal dort und es wird höchste Zeit an dieser Stelle mal das "Il Casolare" zu erwähnen. Warum? Es gibt dort in der Grimmstraße in Kreuzberg nichts geringeres als die beste Pizza der Welt. Und bei diesem Superlativ akzeptiere ich keinen Widerspruch. Solch leckere Pizza kann es einfach nirgends sonst geben. Und pop- bzw. punk-kulturell interessant ist es auch noch. An den Wänden haben sich viele viele Bands verewigt, die der Punkrock-Fan und Restaurant-Chef schon da hatte. Readymade, die Beatsteaks und viele andere. Also geht hin, esst die beste Pizza der Welt, trinkt ein paar Liter Rotwein und fühlt euch so wohl wie lang nicht mehr. Aber reserviert unbedingt vorher einen Tisch. Das Ding ist nämlich immer voll - bis in die Nacht.

 
Noch mehr Berlin: Am Sonntag war ich dann auf der MoMA-Ausstellung. Wegen größerer Renovierungen im Museum of Modern Art in New York, gingen viele viele Exponate zu einer Ausstellung nach Berlin. Picasso, Dalí, Cézanne, Gauguin, Pollock - ungleublich viel brillante Kunst. Und dementsprechend lang ist die Besucher-Warteschlange an einem solchen Sonntag. Aber was macht das arrogante Journalistenpack? Es geht an allen vorbei durch den VIP-Eingang und verkürzt die Wartezeit von 3 Stunden auf 2 Sekunden (in denen der Presseausweis gezeigt werden muss). Aber ein paar Vorteile müssen wir ja haben, wenn wir doch einen so stressigen Job haben ;-) All meine Eindrücke zu schildern, die ich in der Ausstellung gesammelt habe - dann würde ich heute keinen Schlaf kommen. Daher nur mein persönliches Highlight der Ausstellung: kein weltberühmter Künstler, sondern ein Deutscher, der auch noch lebt: Gerhard Richter heißt er und seine ausgestellten Bilder aus dem Zyklus "18. Oktober 1977" haben mich völlig begeistert. Sie stammen aus der Baader-Meinhof-Zeit, zeigen die junge Ulrike Meinhof, die verhaftete Gudrun Ensslin, die Leichen von Baader und Meinhof und andere Motive. Das alles sehr düster, in Öl auf Leinwand - in einem wahnsinnigen Stil. Die Bilder sind alle horizontal verwischt. Schwer zu erklären, man muss es sich ansehen. Die Richter-Bilder gibt's übrigens auch hier zu sehen. Aber die Großartigkeit zeigt sich auf einem kleinen Computer-Bildschirm nicht wirklich. Man sollte sie im Original sehen. Man sollte sich ohnehin die gesamte MoMA-Ausstellung ansehen. Eine solche Chance so viel brillante Kunst zu sehen gibt's in Deutschland vielleicht nur einmal im Leben.

 
So. Und jetzt ein paar Worte zu meinem Wochenende in Berlin. Zunächst zum ADC. Für alle, die mit dieser Branche nichts zu tun haben: Der ADC ist der Art Director's Club. Ein Club von Werbern und anderen Kreativen, der einmal im Jahr die beste Werbung, die besten Zeitschriften-Gestaltungen und andere kreative Dinge auszeichnet - bei den ADC Awards. Und da war ich also. Als Journalist, der eigentlich nur über Fernsehen schreibt und nicht über Werbung ein kleiner Fremdkörper - aber umso entspannter, objektiver konnte ich an die Sache rangehen.
Am Freitag gab es zunächst die ADC Visions - eine Veranstaltung, auf der ein paar wichtige Kreative Vorträge hielten. Klingt langweiliger als es war. Es gab viele schlechte und gute Werbung zu sehen, erhellende und weniger erhellende Worte zu hören. Mein persönliches Highlight der Veranstaltung (und da mag ich der Einzige gewesen sein) war der Auftritt von Malcolm McLaren. Der Erfinder der Sex Pistols redete kein bisschen über Werbung, sondern über die Lage der Gesellschaft, einen Besuch in Peking, den er in höchst spannenden und eindrucksvollen Worten schilderte und über das seiner Meinung nach nächste große Ding: Chip-Music. Diese Musikrichtung, gemacht wird sie auf alten 8bit-Computern und -Spielkonsolen gibt es zwar schon seit Jahren und McLaren erklärt sie auch schon seit dem letzten Jahr zum nächsten großen Ding, aber interessant war's trotzdem. Ich hätte ihm noch Stunden zuhören können.
Am Samstag stand dann ein Besuch auf der ADC-Ausstellung an, auf der alle ausgezeichneten und eingereichten Anzeigen, Clips, Fotos, Layouts, etc. zu sehen war. Am Abend ging es dann also zum Höhepunkt: zu den ADC Awards. Eine zum Teil sehr skurrile Show, auf der sich die Werbebranche selbst feiert als gäbe es kein Morgen. Die Preise werden verliehen, die Gewinner kommen unter Jubel und Applaus auf die Bühne - letzlich eine relativ unspektakuläre Veranstaltung mit vielen technischen Pannen. Zwischendruch sang Ulrich Tukur mit seiner Band Schlager des frühen 20. Jahrhundert. Sehr lustig, das. Den sollte man sich vielleicht mal in einem kompletten Konzert geben.
Die After-Show-Party war dann sehr sehr seltsam. Man glaubt gar nicht, wie Leute, die sich für extrem cool halten eine solch uncoole Party feiern können. Die Musik! Die beiden DJs hätten jeder Dorfdisco alle Ehre gemacht. Technozeug, das vor 10 Jahren vielleicht cool war, später "smells like teen spirit" und gleich danach Fury in the Slaughterhouse, Guns'n'Roses. Dann wieder blöde Party-Hits. Wirklich: ein Dorfdsico-Mix at its best. Nichts an neuer, ideenreicher, kreativer Musik. Und dann noch Pseudo-Promis wie Jenny Elvers. Naja, vielleicht feiert jeder eben doch die Party die er verdient. Richtig schlecht war's trotzdem nicht. Wenn man alles mit etwas Humor genommen hat, konnte man die Nacht ganz gut überleben. Und immerhin: So arrogant, mega-stylish und abgehoben sind sie gar nicht, die Werber.

Montag, März 22, 2004
 
"Cicero". Ich war etwas skeptisch. Zu ambitioniert klang all das, was ich im Vorfeld gehört hatte. Die Skepsis: völlig unnötig. Die Erstausgabe des "Magazins für politische Kultur" ist verdammt gelungen. Eine sehr illustre Liste von Autoren: Madelaine Albright schreibt über den nordkoreanischen Diktator Kim, Arthur Miller über einen Besuch bei Fidel Castro, Umberto Eco über den europäischen Antisemitismus, Rudolf Scharping über die SPD, Roger de Weck über die "Unfälle der Generaton Golf", Günter Schabowski über die Dekadenz der DDR-Oberen. Außerdem dabei: die üblichen Verdächtigen Maxim Biller, Wladimir Kaminer, Nils Minkmar, Christoph Stölzl, etc, etc. Und Jim Rakete fotografiert Gerhard Schröder. Und Tilman Spengler besucht und interviewt Jörg Immendorff. Eine schier unerschöpfliche Reihe von interessanten Geschichten. Ich hab seit langer langer Zeit nicht mehr so viel Lesenswertes in einem einzigen Magazin gesehen. Mein persönlicher Höhepunkt: Ein Artikel von Gregor Peter Schmitz und Jörg von Uthmann über die obskure US-Elite-Studentenverbindung Skull and Bones, der beide Präsidentschaftskandidaten George W. Bush und John Kerry angehörten - ein Thema, über das man sonst nur auf zweifelhaften Verschwörungs-Websites liest. Wenn Wolfram Weimers "Cicero" dieses hohe Niveau durchhält, steht es ab sofort ganz weit oben auf meiner langen Zeitschriften-Einkaufs-Liste. Nur eins noch: Der Typ auf dem Cover sieht doch nicht wirklich aus wie Gerhard Schröder, oder? Aber Immendorff hat ihn extra für "Cicero" gemalt - da ist es dann auch egal, wie er aussieht.