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Fernsehtipp für heute abend: Im WDR Fernsehen startet um 23 Uhr die bestimmt sehr interessante Doku-Reihe “Generation Pop”. Heute geht’s um die 70er Jahre.
Fernsehtipp für heute abend: Im WDR Fernsehen startet um 23 Uhr die bestimmt sehr interessante Doku-Reihe “Generation Pop”. Heute geht’s um die 70er Jahre.
Ich hab übrigens am selben Tag Geburtstag wie Richard Strauss (1864), Gene Wilder (1933) und Gunther Gabriel (1944). Was ‘ne Mischung…
Der 11. Juni 1974. Ein Dienstag. Um 21.41 Uhr erblickt (wahrscheinlich schreiend) im Kreiskrankenhaus im niedersächsischen Provinzstädtchen Uelzen ein kleiner popkulturjunkie das Licht der Welt. Viel ist nicht passiert an diesem Dienstag. Der Bundestag beschloss die Erhöhung der Beamtengehälter um 11%, im Tschad übergab ein Bonner Ministerialbeamter Rebellen 2 Mio. Mark für die Freilassung des 52 Tage zuvor verschleppten Arztes Christoph Staewen und in Frankfurt wurde Joao Havelange FIFA-Präsident. In Deutschland steht “waterloo” von Abba, die damit kurz zuvor den Eurovision Song Contest gewonnen hatten, an der Spitze der Charts. In England heißt die Nummer 1 “sugar baby love” von den Rubettes und in den USA liegt “band on the run” von Paul McCartney & Wings vorn. Aber der 11. Juni 1974 – das war nur ein zufälliger Tag. Wie war 1974? Worüber haben die Menschen geredet? Wie war die Zeit, in die ich hineingeboren wurde?
Am 13. Februar wird der russische Schriftsteller Alexander Solschenizyn aus der UdSSR ausgewiesen und nach Frankfurt am Main geflogen. Der deutsche Bundestag ratifiziert am 20. Februar den Atomsperrvertrag. Am 6. April gewinnt Abba mit “waterloo” den Eurovision Song Contest und am 25. April wird der Kanzler-Spion Günter Guillaume enttarnt. Bevor Brandt am 6. Mai als Bundeskanzler zurücktritt, führt im April in Portugal die Nelkenrevolution zur Einführung der Demokratie und am 2. Mai eröffnen die ständigen Vertretungen der BRD und der DDR in Ost-Berlin und Bonn. Am 15. Mai wird Walter Scheel Bundespräsident und am 16. Mai Helmut Schmidt Bundeskanzler. Zwei Tage später, am 18. Mai zündet Indien die erste Atombombe und wird damit das sechste Land, das über Atomwaffen verfügt. Am 17. Juni explodiert eine IRA-Bombe in den Londoner Houses of Parliament und beschädigt Westminster Hall. Am 7. Juli gewinnt Deutschland die Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land und am 8. August tritt Richard Nixon wegen der Watergate-Affäre als US-Präsident zurück. Der 30. Oktober: der Rumble in the Jungle. Muhammad Ali schlägt in Kinshasa George Foreman K.O. und ist Box-Weltmeister im Schwergewicht. Am 29. November wird Ulrike Meinhof zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Die Türkei besetzt 1974 den Nordteil Zyperns. Und in Hamburg wird der neue Elbtunnel eröffnet. Außer dem kleinen niedersächsischen popkulturjunkie werden auch ein paar bekannte Leute im Jahr 1974 geboren: Kate Moss am 16. Januar, Robbie Williams am 13. Februar, Christiane Paul am 8. März, Victoria Beckham am 17. April, Penélope Cruz am 28. April, Alanis Morissette am 1. Juni, Franka Potente am 22. Juli, Carsten “Fußballgott” Jancker am 28. August, Sven Hannawald am 9. November und Leonardo DiCaprio am 11. November. Gestorben sind 1974 am 24. Mai Duke Ellington, am 29. Juli Erich Kästner, am 26. August Charles Lindbergh, am 9. November RAF-Terrorist Holger Meins und am 2. Dezember Max Weber. Ein durchaus spannendes Jahr also. Jetzt aber zu den wirklich wichtigen Dingen – zur Popkultur. Welche Musik haben die Leute damals gehört?
Tim Page, Pulitzer-Preis-ausgezeichneter Musik-Kritiker (“New York Times”, “Washington Post”,…) hat das Jahr 1974 mal als “worst year in pop music”. “Without doubt” wie er hinzufügt. Aber was sollte das Jahr 1974 auch machen? Die Beatles hatten sich aufgelöst, der Summer of Love war auch längst vorbei. Punk Rock und die Disco-Revolution noch Zukunftsmusik. Und so wurde aus 1974 das Jahr des weichgespülten Souls und des Schmalz-Pops. Glücklicherweise muss man dieses “worst year in pop music” nicht noch einmal erleben. Glücklicherweise kann man sich rückblickend die Perlen herauspicken. Und Perlen, die gab es trotzdem. Ohne Zweifel.
Anfangen darf man bei einer solchen Perlen-Herauspickerei allerdings nur sehr bedingt in den Charts. In den deutschen Jahrescharts 1974 liegt George McCrae vorn. Mit seinem Säusel-Soul “rock your baby”. Auf Platz 2 das heutzutage nur unter starkem Drogeneinfluss zu ertragene “sugar baby love” von den Rubettes. Rang 3: “seasons in the sun” von Terry Jacks – gerade noch okay. Und auf Platz 4 der Hammer: “Theo, wir fahr’n nach Lodz” von Vickey Leandros. Hätte Musik-Kritiker Page die deutsche Sangeskunst des Jahres 1974 gekannt – er hätte sich bestätigt gefühlt. Denn weiter hinten kommen weitere dieser Kracher: Chris Roberts – “du kannst nicht immer 17 sein”, Gunter Gabriel – “hey boss ich brauch’ mehr geld” und Nina & Mike mit “fahrende musikanten”. Nicht viel besser die englischen Jahres-Charts: das seltsame “tiger feet” von MUD, wieder “seasons in the sun” von Terry Jacks und das extrem peinliche “billy, don’t be a hero” von Paper Lace auf den ersten Rängen. Schlimmer geht’s nicht mehr? Doch! Amerika! Platz 1: Barbra Streisand – “the way we were”, Platz 2 “seasons in the sun” und Platz 3 “love’s theme” von Love Unilimted Orchestra.
Gehen wir also schnell raus aus den Charts. Denn was sagen die Charts schon über gute Musik aus? Damals wie heute: Nichts. 1974 gab es zum Beispiel die Band Big Star, die heute kaum noch jemand kennt, die aber viele viele Bands nach ihr beeinflusst hat. Placebo haben übrigens den wunderschönen Big-Star-Titel “holocaust” gecovert. 1974 erschien Big Stars Album “radio city” und drauf war “september gurls”. Ein Song, der auch heute von irgendeiner Retro-Rock-Band veröfentlicht werden könnte, ohne dass er alt klingt. Oder David Bowie. Einer seiner Songs aus 1974 ist “rebel rebel”. Auch heute noch ein Knaller. Ich persönlich finde ja auch, dass Billy Joels “piano man” aus dem Jahr 1974 in alle ewigen Bestenlisten gehört. Oder Supertramps “dreamer”. Ebenfalls aus 1974: “kung fu fighting” von Carl Douglas. “Kill Bill”-Fans werden es kennen. Charles Aznavour stand 1974 hoch in den englischen Charts mit “she”. Ein Song, der zugegebenermaßen erst 1999 richtig hörbar wurde, als Elvis Costello ihn für den Film “Notting Hill” veredelte. Eric Clapton mit “i shot the sheriff”, Gloria Gaynor mit “never can say goodbye” und Golden Earring mit “radar love”. Alles auch heute noch hörbar. Harry Chapins “cats in the cradle”, die Lynyrd-Skynyrd-Stücke “free bird” und “sweet home alabama” oder “killer queen” von Queen. Nicht zu vergessen das verrückt-gute “this town ain’t big enough for both of us” von den Sparks. Und sogar Visionäres gab es 1974: Kraftwerk veröffentlichten die “autobahn”-EP und Patti Smith schrieb mit “hey joe” den nach Meinung einiger Musikhistoriker ersten Punkrock-Song. Also: so schlimm war 1974 doch gar nicht. Vielleicht tatsächlich nicht das beste Jahr, aber ganz okay, um im Kreiskrankenhaus im kleinen niedersächsischen Provinzstädtchen Uelzen geboren zu werden und fortan die Welt zu durchsuchen – nach der wirklich guten Musik…
Übrigens: Deutscher Meister ist 1974 der FC Bayern geworden. Wer auch sonst :-)
Hiermit erkläre ich meinen offiziellen Abschied. Den Abschied aus der für die Werbung attraktivsten Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen. Ich gehe mit Wehmut. Die Zeit in dieser Zielgruppe war oft schön. Vor wenigen Minuten, pünktlich nach “Fast Forward” habe ich umgeschaltet. Viva und MTV wollen mich jetzt nicht mehr. Ich bin Ihnen als Zuschauer komplett egal. Gut, das war ich vorher auch schon, schließlich hab ich kein Quotenmessgerät. Aber: Jetzt werde ich für alle Zeiten egal sein. Auch RTL II und ProSieben sehen mich ab sofort nicht mehr so gern in ihrem Zuschauerkreis wie noch vor wenigen Minuten. Schade, wirklich schade. Auch wenn ich RTL II ohnehin eher selten eingeschaltet habe. Aber diese Gleichgültigkeit gegenüber mir? Dem potenziellen Zuschauer? Ich bin doch erst 30… Jetzt aber genug mit dem Schwachsinn – zurück zu MTV. Sehen, ob ausnahmsweise ein guter Clip läuft. Denn solang bei Euch gute Sachen laufen, werdet Ihr mich nicht los, Ihr Fernsehsender dieser Welt!
Wie geil! Charlotte schmiert in “Fast Forward” gerade NPD-Wahlplakate in Köln mit grüner Farbe zu.
Warum läuft eigentlich während “Fast Forward” ein Werbespot für die neue Chris-Norman-Single???
Manche Tage passen einfach. Von morgens bis in die Nacht. Man merkt, warum man lebt, was das Leben lebenswert macht. Und dieses Gefühl tut unheimlich gut.
Da läuft doch gerade dieses Sportfreunde-Stiller-“MTV Spin”-Special. Und ich bin ja irgendwie momentan auf einem Rio-Reiser-Trip. Und da fällt mir auf, dass sich die Sportfreunde Stiller bei ihrem Text zu “ans ende denken wir zuletzt” ein wenig an einem alten Rio-Reiser-Klassiker “orientiert” haben. Und dann finde ich auch noch ein Fettes-Brot-Stück mit einer ähnlichen Zeile.
wann, wenn nicht jetzt? wo, wenn nicht hier?
wie, wenn ohne liebe? wer, wenn nicht wir?
(Rio Reiser – “wann”)
wer, wenn nicht wir?
wo, wenn nicht hier?
wann, wenn nicht jetzt?
ans ende denken wir zuletzt
(Sportfreunde Stiller – “ans ende denken wir zuletzt”)
wer wenn nicht wir, wo wenn nicht hier
wann wenn nicht gerad?, wie wenn nicht hart
(Fettes Brot – “da draußen”)
Was für eine großartige Idee von Marie, das mal wieder zu hören:
Robbie Williams – “road to mandalay”
The Polyphonic Spree – “reach for the sun”