das neue “zeit magazin leben”.

Ich bin kein “Zeit”-Leser. Ich habe es in unregelmäßigen Abständen immer mal wieder versucht, aber mir gibt diese Wochenzeitung nichts. Ich mochte “Die Woche”, komme nicht vom “Spiegel” los und finde immer wieder einzelne sehr lesenswerte Geschichten im “stern”. Aber “Die Zeit”? Nicht meine Zeitung. Heute habe ich sie mir erstmals seit Jahren gekauft. Und das hat einen Grund: Seit heute liegt wieder ein “Zeit Magazin” bei – das “Zeit Magazin Leben”, um den vollen Titel zu nennen. Fast genau acht Jahre gab es das nicht, das ursprüngliche “Zeit Magazin” (links auf dem Foto die letzte Ausgabe – auf dem Titel steht “1531 – Das ist ihre letzte Nummer”) wurde im Mai 1999 nach fast 30 Jahren Existenz vom Ressort “Leben” abgelöst.

Nun also die Erstausgabe des neuen Magazins (auf dem Foto rechts). Ich habe das Magazin inzwischen gelesen und bin relativ begeistert. Zwar schwankt die Qualität der Ideen und Texte zwischen belanglos und sehr gut, aber insgesamt gibt es auf den 80 Seiten mehr Interessantes als beispielsweise in 80 Ausgaben “Vanity Fair”. Beginnen wir vorn:

Auf dem Titel ist Günter Wallraff zu sehen, der für das “Zeit Magazin Leben” fortan wieder undercover recherchieren wird – in der Erstausgabe schildert er das Arbeiten in einem Call-Center. Er hat dafür mit völlig verändertem Aussehen, als Michael G. in zwei solcher Firmen gearbeitet, die am Telefon Leuten beispielsweise die Mitgliedschaft in einer Lotto-Tippgemeinschaft andrehen wollen. Zur Geschichte gleich mehr. Nach dem Titelbild, dem Editorial und dem Inhaltsverzeichnis folgt der erste kleine amüsante Höhepunkt: Harald Martenstein schreibt jetzt im “Magazin” und macht gleich in seiner ersten Kolumne seinem Unmut Luft, dass der Platz für seine Kolumne in den vergangenen Jahren von 3500 auf 3300 auf 3150 auf 3050 und nun auch 2800 Zeichen geschrumpft ist. Die Art-Direktoren seien schuld. Es folgen eine Deutschlandkarte, auf der zu sehen ist, wo am häfigsten Ehen scheitern, eine überaus langweilige Kolumne des “zitty”-Chefs Matthias Kalle “Kalle sieht fern”, sowie ein Fernsehtipp und ein paar Altherren-humorige “Worte der Woche”. Die Geschichten “Warum Männer immer falsche Sonnenbrillen kaufen” und “Erinnern Sie sich?” müssen ebenfals nicht gelesen werden.

Dann folgt die große Wallraff-Titelgeschichte. Es gab zwar bereits vor einigen Wochen eine ähnliche Geschichte in der “Welt am Sonntag” (wenn ich mich richtig erinnere), aber das Wallraff-Stück ist trotzdem lesenswert. Sachlich und genau beobachtend schildert er seinen Arbeitsalltag bei einem Kölner Call-Center, schreibt Reaktionen auf seine Anrufe auf (“Lotto ist die reinste Strafsteuer auf mathematischen Unverstand.”), erwähnt, das Günther Jauch ein indirekter Helfer für Call-Center sei, die SKL-Lose verkaufen, weil er die SKL-Show bei RTL moderiert. Später, im zweiten Call-Center wird es dann noch bizarrer: Dort werden Auszüge des Jugendschutzgesetzes in billigem Ikea-Rahmen an Wirte und Imbissbudenbesitzer vertickt. Für 69 Euro. Einen Text, der sich im Internet kostenlos herunterladen lässt. Reihenweise wird türkischen Dönerbudenbesitzern das überteuerte Produkt verkauft. Schade ist, dass Wallraff es jeweils nur kurze Zeit in den Firmen ausgehalten hat, sodass tiefere Einblicke etwas fehlen. Trotzdem ein guter Titel der ersten Ausgabe.

Auf den folgenden Seiten gibt es ein nettes kleines Interview mit Jessica Schwarz über Zeitschriften und Magazine, den Auftakt einer potenziell interessanten Reportage-Reihe über zwei Frauen und Männer, die sich zwölf Jahre nach einem Wochenende “zwischen Magie und großer Gefühle” wiedersehen, Leslie Feists Gedanken zum Thema “Ich habe einen Traum”, ein relativ langweiliges Interview mit Josef Ackermann und eine Fotostrecke von Helmut Lang. Zum Schluss folgen noch eine kleine Geschichte über die Künstler Gilbert & George, deren spannende Ausstellung ich vor Kurzem in London gesehen habe, eine Seite “Kunstmarkt”, die Tillmann-Prüfer-Kolumne “Der perfekte Mann”, die sich anscheinend mit einer Modekolumne abwechseln wird, einen belangloser Autotest, eine Koch-Kolumne und ein paar Rätsel.

Abgeschlossen wird das “Zeit Magazin Leben” von “Auf eine Zigarette mit Hemlut Schmidt”, der Rubrik, auf die ich mich wohl am meisten gefreut hatte. Kaum jemand versteht es, seine Meinung so auf den Punkt zu bringen und keine Rücksicht zu nehmen, dabei aber trotzdem charmant zu bleiben, wie Helmut Schmidt. Diesmal sprach “Zeit”-Chef Giovanni di Lorenzo mit ihm über den G8-Gipfel. Wenn man hohe Erwartungen hat – so wie ich – kann man natürlich auch schneller enttäuscht werden – und dieses erste Schmidt-Mini-Gespräch hat mich etwas enttäuscht. Vielleicht macht es einfach keinen Sinn, Schmidt auf so wenigen Zeilen reden zu lassen, vielleicht wird es aber auch noch interesanter. Abwarten.

Insgesamt ist die erste Ausgabe des Magazins aber gelungen. Es ist eine ziemlich gute Mischung aus Lesenswertem, Kurzweiligem und natürlich auch ein paar Belanglosigkeiten. Ich glaube, das “Zeit Magazin Leben” wird mich dazu bringen, der “Zeit” künftig wieder mehr Chancen zu geben.

3 Comments so far

  1. Bonzo on May 24th, 2007

    Ach, der Wallraff ist das?! Ich dachte, es sei vielleicht der Junge von der alten “Kinderschokolade”-Tafel…

  2. Christian on May 25th, 2007

    ich komme mit dem magazin überhaupt nicht klar. zu knapp, zu “belanglos”. kein vergleich zum ressort “leben”.
    sagt ein “zeit”-abonnent.

    und da du ja auch noch den “spiegel” ins spiel bringst. ich bitte dich. in den letzten jahren ist dem “spiegel” einiges an journalistischer qualität und kredibilität abgegangen. viel zu viele artikel sind nur noch reißerisch, höchstens zweite bis dritte wahl und im vergleich – sofern man den vergleich nachrichtenmagazin wochenzeitung als zulässig ansieht – zur “zeit” auch schlechter recherchiert. in der “zeit” werden diffizile und komplexe themen viel differenzierter dargestellt, es wird oft quer gedacht und man fühlt sich als leser schlichtweg besser informiert.

  3. philoact on May 28th, 2007

    christian spricht mir da wirklich aus herzen. mit der zeit muss man sich zeit lassen. ich mag es das man sich mit meinung und scharf macherei zurück hält und lieber beobachtet. aber wer das ressort leben kennt ist vom magazin schlicht enttäuscht. ich hoffe das wird sich ändern.

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