lächerlich oder konsequent?

Keine Angst, das wird hier kein Generalisten-Blog zu allem, was gerade durch die Medien schwirrt. Aber auch zur ARD/ZDF-Doping-Geschichte möchte ich ein paar Dinge sagen. Mir missfällt nämlich, dass den Öffentlich-Rechtlichen vorgeworfen wird, inkonsequent, sogar lächerlich und “quotengeil” zu agieren, weil sie die Tour-de-France-Ãœbertragungen bis auf Weiteres beendet haben. Mit Verlaub: Das ist meiner Meinung nach ziemlicher Blödsinn. Bei ARD und ZDF haben sicher zu oft Entscheidungen mit einem solchen Schielen auf die Quote zu tun. Aber in diesem Fall halte ich einen solchen Vorwurf für absurd. Wenn man mitten in der Tour de France sein komplettes Nachmittagsprogramm umschmeißt, keine Programmzeitschrift mehr den richtigen Sendeablauf enthält, wird man Quoten erhalten, die nur unwesentlich besser sind als die der Radrennen. Auch die ohne Tour de France womöglich besser zu verkaufenden Werbeinseln wird man so kurzfristig recht schwer los.

Meiner Meinung nach ist die Entscheidung von ARD und ZDF absolut konsequent. Sicher kann man darüber diskutieren, ob sie nicht bereits vor der Tour de France, nach den Jaksche-Enthüllungen, hätte fallen müssen – die Senderverantwortlichen sahen das damals noch anders. Dennoch haben sie sich vor dem Start des Rennens unmissverständlich geäußert. In der “Süddeutschen” vom 2. Juli heißt es zum Beispiel:

“Am Wochenende hat der frühere Team-Telekom-Fahrer Jörg Jaksche gewissermaßen als Kronzeuge die Systematik des Dopings im Radrennsport detailliert beschrieben. Für den ARD-Programmdirektor Günter Struve hat sich aus der umfangreichen Beichte kein neuer Kenntnisstand ergeben. Das ist insofern wichtig, als dass Struve mit seinem Kollegen Nikolaus Brender, dem Chefredakteur des ZDF, für eine Absetzung der Tour-Bilder plädiert hat, wenn neue Dopingfälle den Anlass lieferten.

In Gesprächen, die Struve und Brender seit Monaten mit den Veranstaltern der Tour de France, mit den Verantwortlichen der deutschen Rad-Mannschaften und mit dem Präsidium des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) führen, sei die Position der gebührenfinanzierten Anstalten klar geworden. Ein ARD-Mann zeigte sich geradezu erstaunt, wie groß die Furcht bei den Tour-Managern vor einer Absetzung ihres Wettkampfes sei.”

Also: Es stand fest, dass man die Übertragungen absetzen werde, sobald ein neuer Dopingfall auftauche. Dass dieser nun aus der Zeit vor der Tour stammt, kann für ARD und ZDF keine Ausrede sein, es musste nun einfach Schluss sein. Insbesondere, weil er aus einem der deutschen Teams stammt, die von ARD und ZDF gewarnt wurden. Mit Gebühren finanzierte Sender können nicht länger ein mafiöses, kriminelles System mitfinanzieren, das mit Sport nur noch am Rande etwas zu tun hat. Die Entscheidung darüber kam spät, aber sie kam. Und darüber sollte man froh sein.

Der Gewinner dieser neuen Affäre dürfte zwar Eurosport heißen – die Quoten als neuer Tour-de-France-Exklusiv-Sender werden steigen – aber wenn man sich die Ãœbertragungen dort mal anschaut, denkt man, eine Zeitreise in die 80er unternommen zu haben. Da wird weiterhin ein romantisches Bild vom Radsport vermittelt, das böse Wort Doping nur am Rande mal in den Mund genommen. Ein bizarres, realitätsfernes Theater.

Meine Meinung über den Radsport bleibt bestehen: Man sollte ihn aus dem olympischen Programm nehmen, den Weltradsportverband in ein freies Unternehmen umwandeln, Doping freigeben und ihn künftig als Show-Event à la Wrestling behandeln – nicht mehr als Sport. Sauber wird man die Radrennen nie wieder bekommen.

18 Comments so far

  1. Joaquin on July 18th, 2007

    Wenn mehrere Sender diesem Beispiel folgen und damit die Werbewirksamkeit dieser Veranstaltung der finanzielle Boden genommen wird, so werden die Organisatoren schnell zum Umdenken gezwungen.
    Schade, dass hier die öffentlichen Fernsehsender mehr Rückgrat zeigen, als der Gesetzgeber.

  2. Dittsche on July 18th, 2007

    Applaus und Standing Ovation für deinen letzten Absatz! Genau das wird die einzige Zunkunftschnce des Radsports sein. Denn wer ernsthaft glaubt, dass es irgendwann gelingen wird, den Radsport dopingfrei zu bekommen, glaubt auch an den Osterhasen.

  3. Stefan on July 18th, 2007

    Die Argumentation könnte ich ja fast nachvollziehen, wenn das nur nicht so heuchlerisch wäre. Die ARD hatte bis 2006(!) mit Jan Ullrich(!!) einen Vertrag über Exklusivinterviews. Der ARD-Sportdirektor Boßdorf erklärte, dass es für die ARD kein Doping gebe, solange Telekom sagt, es gibt kein Doping. Wenn diese ARD sich nun als Saubermann aufspielt, dann find ich das nur heuchlerisch. Und gespannt bin ich darauf, wie sie’s denn mit der Leichtathletik halten: Die ist nun nicht wirklich sauberer als der Radsport …

  4. Ronnie Grob on July 18th, 2007

    Es ist wohl wahr, dass sich die Verantwortlichen durch ihre eigenen Aussagen dazu gezwungen haben, so zu handeln, für den interessierten Zuseher wie auch für den Gebührenzahler ist es dennoch eine Katastrophe.

    Mir ist es egal, ob man dem Radsport Show-Event oder Sport sagt. Wichtig wäre einzig, dass alle Startenden wieder die gleichen Voraussetzungen erhalten. Sonst ist der Wettbewerb keiner mehr.

  5. Maike on July 18th, 2007

    Die Absetzung ist lächerlich, jeglicher Leistungssport ist von vorne bis hinten dopingverseucht. Es kann nicht Aufgabe von ARD und ZDF sein den Oberpädagogen zu geben. Sie haben die Aufgabe zu informieren. Der Zuschauer entscheidet dann selbst, ob er etwas sehen will oder nicht. Früher haben sie das Thema völlig ignoriert, heute drehen sie komplett durch. Entweder sendet man jeden Breitensport oder gar keinen. Wer glaubt, dass Rekorde und Höchstleistungen ohne Doping zu erreichen wären, ist unglaublich naiv, ob Schwimmen, Fußball, Tennis oder Leichtathletik.

    Deine Meinung über Eurosport kann ich nicht teilen, sie haben in der letzten Zeit viel zum Thema Doping gesagt, auch schon als bei den öffentlich-rechtlichen Sendern noch Friede, Freude, Eierkuchen herrschte.

    Eurosport wird sich darüber freuen, die Radsportfans werden sich nicht von der Tour abhalten lassen und ARD und ZDF hoffentlich für ihr Verhalten nachhaltig meiden.

  6. PS on July 18th, 2007

    Da hat wohl einer gegen das 11. Gebot verstossen:

    “Du sollst Dich nicht erwischen lassen!”

    Ansonsten kein Mitleid. Wenn ich Gladiatoren sehen wollte, würde ich Wrestling schauen.
    Ich will Vorbilder; die Ãœberwindung des inneren Schweinehundes und keine Blender, die sich selbst in Lebensgefahr bringen, nur weil “die anderen auch dopen”.

    Hier noch was für den Junkie und die gedop’te Maike:
    Ich bin einfach nicht zynisch genug, zu sagen: “dop’t halt und verreckt dann zeitnah.”
    Sowas will doch auch keiner sehen.

  7. dogfood on July 18th, 2007

    Re: “Also: Es stand fest, dass man die Ãœbertragungen absetzen werde, sobald ein neuer Dopingfall auftauche.”

    Sorry, da bin ich konträrer Meinung. Im ganzen Leyendecker-Interview mit Struve und Brender am letzten Samstag [1] drücken sich beide wie die Pest um ein klares Statement.

    Leyendecker unterstreicht es nun in der Donnerstagsausgabe [2]:
    > Die Antwort auf die Frage, wann ein Ausstieg fällig sei, lag im Nebel. Weder ARD noch ZDF mochten den Punkt genau benennen. “Was brauchen Sie, um auszusteigen? Einen niederländischen Sprinter mit Eigenblut oder einen Kolumbianer auf Epo?‘‘ hatte die SZ den ARD-Programmdirektor gefragt. “Einer wird immer so was anstellen. Das System muss sich reinigen‘‘, lautete Struves etwas ausweichende Antwort, der auch Brender zustimmte.

    Wenn die Haltung von ARD und ZDF transparent und im Rahmen einer konsistenten Haltung zum Sport eingebettet gewesen wäre, wäre die Entscheidung nachvollziehbar gewesen.

    So sieht es aber eher nach einem Schnellschuss aus, der das Resultat der medialen Schelte der letzten Tagen und Wochen ist, weswegen man jetzt lieber weißer als weiß waschen möchte.

    [1] http://www.sueddeutsche.de/sport/weitere/artikel/529/123357/

    [2] http://www.sueddeutsche.de/sport/weitere/special/329/122165/index.html/sport/weitere/artikel/274/124096/article.html

  8. Stephan on July 19th, 2007

    das stimmt, wenigstens freut sich Eurosport über die gewonnen Zuschauer und die Privatwirtschaft wird somit auch gleich ein bischen angekurbelt. wie praktisch.

  9. ad on July 19th, 2007

    ihr deutschen habt doch alle keine ahnung vom radsport, und interressiert euch doch auch nur dafuer seit ullrich gewonnen hat. haltet euch einfach raus

  10. Manfred on July 19th, 2007

    @ad

    Jaja, wieder mal so ein nichtssagendes Pauschalurteil.
    Keinerlei brauchbare Argumente und eine Begründung für Deine Aussage lieferst Du auch nicht mit.

    Als kleines Kind habe ich auch immer dann solche Aussagen getätigt, wenn ich merkte, der andere hat Recht und ich komme mit meinen Argumenten nicht weiter.

  11. sven on July 19th, 2007

    Ich glaube tatsächlich das hier zum größten Teil ahnungslose diskutieren (Ich inkl.). Selbstgerecht, die Moral auf Ihrer Seite. Wie wollt Ihr über etwas Urteilen was Ihr aus dem TV oder vom Straßenrand kennt?

    Und zu Eurosport: Es ist völlig legitim, wenn sich ein Sportsender mit dem Sport beschäftigt. Sie verzichteten auch schon ewig darauf die Kultur des Landes zu zeigen (wie bei ARD und ZDF). Da meckert auch keiner.

    Ich habe auch keine Ahnung, aber ich tue wenigstens nicht so als ob.

  12. Cem Basman on July 19th, 2007

    Gut gebrüllt, Löwe!

  13. Mr. News on July 19th, 2007

    Ob ARD und ZDF sich da mal nicht ins eigene Fleisch schneidem? SAT.1 hat sich jetzt ja die Ãœbertragungsrechte gesichert. Da kann man wieder Tour gucken. Die Fans wird’s freuen :-)

  14. macwoern on July 19th, 2007

    > Sauber wird man die Radrennen nie wieder bekommen.

    Waren sie denn jemals sauber???

  15. ad on July 20th, 2007

    ich meine,
    es gibt keinen sauberen sport, genauso wie es kein sauberes leben gibt. ueberall wird doch getrickst und betrogen. in allen lebensbereichen wird ‘gedopt’. warum sollte das im radsport anders sein? das problem ist einfach das es dort am besten kontrollierbar ist.

    und deutschland hat keine tradition im radsport, das ist nur mal so, und die meisten deutschen ‘fans’ sind nunmal keine radsport-fans, sondern nur waehrend der tdf ullrich- bzw zabel-fans. das meinte ich mit keine ahnung haben. die faszination radsport haben doch die meisten sowieso nie verstanden.

    jedenfalls ist dieses ganze saubermann getue der deutschen journalisten und zum beispiel des verfassers dieses blogs einfach nur ekelhaft.

  16. faktotum on July 20th, 2007

    ich finde das verhalten von ard/zdf fragwürdig, konsequent nun aber überhaupt nicht. dann hätten sie nämlich wirklich schon im vorfeld auf die berichterstattung verzichten müssen. es war doch klar damit zu rechnen, dass es einen doping-fall geben wird.

    außerdem: “sauber” im sinne von “doping-frei” wird man keinen profi-sport bekommen. der freizeit-sport, also auch weite teile des rad-sports, ist/sind im großen und ganzen doping-frei. beim profi-sport als teil der unterhaltungsindustrie wird immer spektakuläreres material verlangt. somit verursachen wir als zuschauer das doping-problem (sofern es denn eines ist) mit.

    und eines noch: die forderung, doping freizugeben ist herrlich polemisch, eo ipso in der aktuellen situation sch̦n populistisch Рaber unrealistisch. oder wie soll das bitte ernsthaft realisiert werden??

  17. Maike on July 21st, 2007

    Doping kann man nicht freigeben, allein schon nicht, weil in vielen Sportarten der Einstieg in den Profibereich bereits im Jugendalter erfolgt.

    Man sollte sich bewusst machen, dass es keinen sauberen Leistungssport geben wird. Der Anreiz ist einfach zu groß. Wenn tatsächlich niemand dopen würde, gäbe es immer einen, der es doch täte. Dieser wäre dann der gefeierte Held, so lange er nicht erwischt wird, und die Verlierer müssen erklären, warum sie nicht mithalten können.

    Die Zuschauer sind doch mit guten Leistungen nicht mehr zufrieden, es müssen Rekorde und erste Plätze sein. Eine Bronzemedaille reicht für Aufmerksamkeit doch gar nicht mehr aus.

    So lange Übermenschliches verlangt wird, darf man sich nicht wundern, wenn die Sportler sich mit Hilfsmitteln zu Übermenschen machen. Es sind zu einem großen Teil die überzogenen Erwartungen von Zuschauern, Sponsoren und Medien, die die Sportler in diese Situation drängen.

  18. hiegl.net - Zukunft des Radsports on February 4th, 2008

    […] Popkulturjunkie Jens Schröder hat es auf den Punkt gebracht: Man sollte ihn aus dem olympischen Programm nehmen, den Weltradsportverband in ein freies Unternehmen umwandeln, Doping freigeben und ihn künftig als Show-Event à la Wrestling behandeln – nicht mehr als Sport. Sauber wird man die Radrennen nie wieder bekommen. […]

Leave a Reply