charts (2004-11-22).

Es kostet immer wieder riesige Überwindung, sich all dieser schlechten Musik zu stellen. Sie mindestens einmal komplett zu hören. Und so bin ich schon wieder zwei Wochen in Verzug geraten. Shame on me. Aber ich konnte mich glücklicherweise ein weiteres Mal überwinden und präsentiere somit: popkulturjunkies Kritiken zu den New Entries der deutschen Single-Charts vom 22. November 2004.

98: Jadakiss feat. Anthony Hamilton – “why”
In 97,8 % aller Fälle hasse ich Hip Hop. Weil ich mit einem Großteil dieses Genres einfach nichts anfangen kann. Hauptursache: Fehlende Melodien. Dieses Stück von einem gewissen Jadakiss, der wie eine kurze Recherche ergeben hat in Wirklichkeit Jason Philips heißt aus einem kleinen amerikanischen Ort namens Yonkers stammt und schon mit Eminem gerappt hat, gehört nicht zu den 97,8%. Zwar ist auch hier keine richtige Melodie zu erkennen, aber dafür authentischer, leicht dreckiger Rap, der absolut nicht unangenehm ist. 4 von 10 Punkten.

89: Prince – “cinnamon girl”
46 ist er nun schon. Und nach einer langen Zeit, die er in der Bedeutungslosigkeit verbracht hat, ist er in diesem Jahr mit seinem “musicology”-Album wieder zurückgekehrt ins Rampenlicht. Nun ist die zweite Single “cinnamon girl” da. Und sie ist ein ziemlicher Ohrwurm. Typischer Prince-Soul-Funk mit netter Melodie. Und kein bisschen angestaubt. In dieser Form kann Prince ruhig noch ein paar Jahrzehnte Musik machen. 6 von 10 Punkten.

87: Big & Rich – “save a horse (ride a cowboy)
Aber was zur Hölle ist das denn nun? Zwei Pfeiffen namens Big Kenny und John Rich, die mit ihrem Country-Pop in den USA großen Erfolg haben. Aber warum denn nun auch hier? Wohl weil sie vor Kurzem in “TV total” aufgetreten sind. Und da fand der eine oder andere Zuschauer die Herren wohl so toll, dass sie nun immerhin auf Rang 87 eingestiegen sind. Grauenhafte Musik, die fast so schlim ist, wie seinerzeit die Ergüsse des glücklicherweise fast vergessenen Projekts Rednex. 1 von 10 Punkten.

78: Gigi D’Agostino & Datura – “summer of energy”
Schön, im November eine Platte zu veröffentlichen, die “summer of energy” heißt. Gigi D’Agostino ist früher auch schon mal höher in die Charts eingestiegen, aber die Kids wollen eben keinen Kirmes-Trance mehr, sondenr lieber Hip Hop. Der Song ist eine inspirationslose Melodien-Reiterei mit Sprachfetzen und einer Prise Opernhaftem Gesang, die allerdings so langsam vor sich hin schneckt, dass mir schleierhaft ist, wie man danach auch noch tanzen soll. Egal. 2 von 10 Punkten.

72: Virginia Jetzt! – “das ganz normale leben”
Die Meinungen zu Virginia Jetzt! gehen fundamental auseinander. Die Einen bezeichnen die Band als deutsche Keane, die Anderen als Schlager-Fuzzis mit peinlichen texten. Ich gehöre eher zu den Einen als zu den Anderen. Zumal die neue Single “das ganz normale leben” fast ganz genau so beginnt wie “somewhere only we know” der großartigen Keane. Nach diesen Anfangs-Sekunden entwickelt sich der Song allerdings glücklicherweise in eine andere Richtung. Virginia Jetzt! machen unaufgeregten, leicht melancholischen, einfach schönen deutschsprachigen Indie-Pop. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. 7 von 10 Punkten.

50: Preluders – “do you love me?”
Kurz bevor die neue “Popstars”-Band gekürt wird, kommt eine der alten nochmal schnell mit einer neuen Single um die Ecke. Die Preluders, die noch nie wussten, in welche musikalische Richtung sie sich entwickeln sollen, interpretieren diesmal Rock’n’Roll im Stil der 50er oder 60er Jahre. Und das so amateurhaft, dass man beinahe einschäft, dann aber gerade noch so den Stop-Knopf findet. 1 von 10 Punkten.

47: L’Ame Immortelle – “stumme schreie”
Manchmal glaube ich, für all diese Gothic-Bands in den Charts sind einzig und allein die neuen Bundesländer verantwortlich. Man braucht nur mal einen Tag mit offenen Augen durch einen beliebigen Ort im Osten gehen und entdeckt so viele schwarz-gekleidete und -geschminkte Menschen wie man sie im Westen vielleicht in einem Jahr zu sehen kriegt. L’Ame Immortelle sind auch so eine dort sehr beliebte Band, die grauenhafterweise auch schonmal mit Oomph! zusammengearbeitet hat. Eine Dame mit in der in der Szene sehr beliebten Haarfarbe Rot, dazu ein Herr mit Depeche-Mode-in-den-80ern-Kurzhaarschnitt, beide Österreicher, machen leicht über-pathetischen Gothic-Pop-Rock. Nichts aufregendes, aber ab und zu durchaus konsumierbar. 4 von 10 Punkten.

31: 3rd Wish – “nina”
Noch so ein viel zu später Sommerhit. 3rd Wish sind eine Teenie-Boyband aus Florida, machen hier Latino-Pop, der extrem klebrig ist. In das eine Ohr rein, aus dem anderen raus. Und schon vergessen. Zum Glück. 2 von 10 Punkten.

30: Anastacia – “welcome to my truth”
Anastacia hat soeben die “Maxim”-Wahl zur “Woman of the Year” in der Kategorie “Pop International” gewonnen. Und jetzt fragt bitte nicht mich, wie zur Hölle das geschehen konnte? An “welcome to my truth” liegt das zumindest nicht. Das ist nämlich lediglich ein weiterer der langweiligen, überflüssigen, überbewerteten, nervigen Ansatacia-Pop-Songs. Mehr nicht. 2 von 10 Punkten.

23: Gwen Stefani – “what you waiting for”
Apropos “überbewertet”. Dazu gehört für mich auch Gwen Stefani. Warum taucht diese Frau gerade in sämtlichen Medien auf? Etwa, weil sie so hübsch ausgeflippt aussieht? An ihrer Musik kann es nicht liegen. Auch wenn “what you waiting for” ein ziemlicher Ohrwurm ist – der eigentlich recht positive Eindruck wird aber durch viele schlimme Ideen, wie ein andauerndes “tic tac tic tac” und andere Gesangs-, Stöhn- und Sprechgeräusche wieder zerstört. Für Stefani-Verhältnisse dennoch ganz okay. 4 von 10 Punkten.

9: U2 – “vertigo”
Eins vorweg: Das neue U2-Album ist schlecht. Schlecht wie nahezu alles, was seit 10 Jahren von dieser Band kam. Aber: “vertigo” ist ein Hammer. Die beste Idee, die U2 wohl jemals hatten, ist die, dieses Stück als erste Single auszukoppeln. Denn so rennen die Leute in Scharen in die Plattenläden und kaufen das schlechte Album, weil sie sich noch viel mehr Songs à la “vertigo” erhoffen. Pech gehabt. Für “vertigo” gibt’s aber völlig verdiente 8 von 10 Punkten.

8: Blue – “curtain falls”
Ach, was wär es schön, wenn auch für Blue der “curtain” fallen würde… Dann müsste man dieses ewige Geseiere der englischen Boyband-Schleimer nicht länger ertragen. 1 von 10 Punkten.

4: Destiny’s Child – “lose my breath”
Beyoncé Knowles hat sich also nochmal aufgerafft, mit ihren Kolleginnen ein neues Destiny’s-Child-Album aufzunehmen. Ob sie damit an die alten Zeiten und große Hits anknüpfen können, wird sich zeigen. Der Anfangserfolg von “lose my breath” ist aber nachvollziehbar. Ein nettes, rhythmisches Ohrwurmstück, dem der große Kick zwar fehlt, das aber hörbar ist. 4 von 10 Punkten.

3: Jeanette – “run with me”
Jeanette Biedermann ist eine meiner absoluten Lieblings-“Künstlerinnen”. Sie vereint alles, was man braucht, um in diesen Kritiken mit möglichst wenigen Punkten bedacht zu werden. Schlimme Musik, ein peinliches Auftreten, eine extrem große Pseudo-Rockstar-Attitüde usw. “run with me” ist genau die richtige Musik für diejenigen, die auch Leute wie Bryan Adams immer noch toll finden. Das Tollste an der Single: Es gibt eine Pop- und eine Rock-Version des Liedchens. Was an der Rock-Version allerdings Rock sein soll? Aber lassen wir das… 1 von 10 Punkten.

2: Sarah Connor – “living to love you”
In einigen Jahren wird es Shows im Fernsehen geben, wie “Die 00er Show” oder “Die peinlichsten Dinge der 00er”. Dort wird man sich lang und breit lustig darüber machen, dass die Menschen in den 00er Jahren Jeanette Biedermann und Sarah Connor zu Popstars gemacht haben. Und man wird denken, wie schlecht dieses Jahrzehnt doch gewesen sein muss, wenn man so miese Musik gehört hat. Man wird dabei vergessen, dass es sehr wohl verdammt gute Musik in diesen Jahren gab. Die Schnulzballade der Frau Connor schleimt unerträglich vor sich hin. Immerhin hat sie es geschafft, ein paar Leute zu mobilisieren, die in den Laden rennen und nicht die neuen Singles von Jeanette Biedermann und Sarah Connor kaufen, sondern nur die von Sarah Connor. 2 von 10 Punkten für diese Ressourcen-Verschwendung.

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