live8: fazit.

Als ich um 14 Uhr den Live8-Tag begonnen habe, wusste ich noch nicht, wie großartig es werden würde, erst recht nicht, dass es für mich zu einer solchen Live-Blog-Arie werden sollte. Ich gehörte im Vorfeld auch zu den Skeptikern. Hauptsächlich wegen des grenzwertigen Berlin-Lineups. Die Aussicht, im Fernsehen hauptsächlich Bilder aus Berlin zu sehen, fand ich wenig erbaulich. Zwar wusste ich, dass es im Internet Streams geben würde, aber man kennt das ja: Die sind dann völlig überlaufen, die Qualität ist mies und zwischen sechs Streams hin- und herzuschalten ist normalerweise auch nervig. Doch der Tag wurde absolut großartig. Hier ein Fazit.

Die Musik:

Die Qualität der Lineups war sehr unterschiedlich. In Berlin gab es einen Mix aus Rentnern (Chris de Burgh!!!), One-Hit-Wondern (Joana Zimmer) und sehr wenigen coolen Bands (Green Day). London war fast durchgehend fabelhaft. Viele junge Bands, dazu ein paar würdige Legenden, ich erinere mich an keinen Totalsufall. In Paris wurde das französisch geprägte Künstler-Lineup durch die dort sehr populären Bands Muse, Placebo und The Cure aufgefrischt. Philadelphia war natürlich sehr amerikanisch geprägt, brachte gleich zu Beginn mit den Kaiser Chiefs aber auch ein Highlight. In Rom gab es immerhin Duan Duran und Toronto hab ich nicht wirklich verfolgt. Neben den vielen vielen großartigen Künstlern haben vor allem die Ãœberraschungen überzeugt, die manchen eingefallen sind: Coldplay spielen mit Richard Ashcroft “bitter sweet symphony”, Elton John holt den abgefuckten Pete Doherty auf die Bühne, Bob Geldof singt “i don’t like mondays” usw. Wann sieht man sowas so schnell wieder? Meine muskalischen Highlights des Tages waren wohl Coldplay, Green Day, Muse, Kaiser Chiefs, Razorlight, Madonna, Velvet Revolver, Placebo, Robbie Williams und The Cure. Insgesamt habe ich nie zuvor in meinem Leben an einem Tag so viel fabelhafte Live-Musik gesehen.

Die Message:

Bei all der großartigen Musik ging die Message, die übermittelt werden sollte, nie unter. Bono hat sie gleich zu Beginn perfekt und ohne zu viel Pathos zusammengefasst. Man kann nicht alle Probleme der Welt lösen, aber die, die man lösen kann, MUSS man lösen. Ich denke, dass Live8 eine perfekte Veranstaltung war, um den Menschen mitzuteilen, worum es eigentlich geht. Den afrikanischen Ländern die Schulden zu erlassen, die Entwicklungshilfen zu verdoppeln, gerechten Handel zu ermöglichen. Jeder noch so beschränkte Typ wird das heute mitbekommen haben, wenn er live vor Ort war oder Live8 irgendwo im Fernsehen, Internet oder Radio miterlebt hat. Insofern war Live8 jetzt schon ein Erfolg, unabhängig davon was die G8-Männer tatsächlich tun (wahrscheinlich nichts). Denn nur dadurch, dass man diese Themen ins Bewusstsein der Menschen bringt, kann man irgendwann auch etwas ändern. Wenn ich jetzt Rummäkler und Berufs-Skeptiker lese, die sich z.B. darüber aufregen, dass diese reichen Künstler aber doch mit teuren Edelklamotten dastanden, könnte ich kotzen. Hallo? Sollen alle barfuss und mit Lumpen bekleidet auftreten? Wäre Euch das recht? Ich würdet Euch etwas anderes suchen, an dem ihr etwas auszusetzen habt. Nur dieses hohe Star-Aufkommen hat ermöglicht, dass Live8 heute das Gesprächsthema überhaupt war und in den nächsten Tagen sicher auch noch bleibt. Was jemand wie Hendryk M. Broder für ein Problem hat, dessen Riesenmüll “Das weiße Band der Idiotie” ich hier lieber nicht verlinke, kann ich nur mutmaßen. Wahrscheinlich gigantische Minderwertigkeitskomplexe. Wenn Veranstaltungen wie Live8 nichts ändern, so haben die Veranstalter es aber wenigstens versucht. Im Gegensatz zu den Rumnörglern.

Die Organisation:

Vorbildlich schien es in London und Philadelphia zu laufen. Zwar begannen die jeweils letzten Konzerte 100 bzw. 70 Minuten zu spät, doch das lag nicht an zu langen Pausen. In beiden Ländern gab es dazu noch eine große Menge an Sportlern und Schauspielern, die die Künstler ansagten. In Paris gab es leider ein paar Änderungen im Ablauf, dazu am Ende anscheinend noch technische Probleme während des Cure-Konzerts. Und was gab es in Berlin? Dilettantie und völliges Chaos. Allein die Idee, Michael Mittermeier als Pausenclown zu engagieren war schon dumm. Jederzeit unpassende, unlustige Gags. Was sich der Veranstalter Marek Lieberberg aber dabei dachte, im Vorfeld einen Ablaufplan zu veröffentlichen, der besagte, dass um 20 Uhr Schluss sein, am Tag des Geschehens dann aber den Plan so sehr zu verzögern, dass das letzte Konzerte des Tages 4 Stunden und 20 Minuten zu spät begann, weiß ich nicht. Ich würde gern von Leuten in Berlin hören, wie es vor Ort war. Ich tippe auf jeden Fall, dass die riesigen Pausen zwischen den Auftritten mehr als nervend waren. Wahrscheinlich sollte das Berlin-Konzert ungefähr zum selben Zeitpunkt wie im Rest der Welt zu Ende gehen. Dann sollte man aber im Vorfeld keine völlig irrelevanten Ablaufpläne veröffentlichen und das Konzert vielleicht auch etwas später beginnen lassen. So war es zumindest unerträglich.

Die Medien:

Der große Gewinner des Live8-Spektakels war das Internet bzw. AOL. Hätte es in Deutschland nur die Dritten gegeben, wäre das Ereignis hierzulande zu einem Fiasko verkommen. Vier Stunden am Nachmittag aus Berlin, dank der Verzögerungen nicht einmal die Hälfte aller Konzerte, ein schlechter Scherz. Dank Phoenix gab es im Fernsehen aber den globalen Feed, der Höhepunkte aller Veranstaltungsorte brachte. Zwar gab es dabei nahezu keine Live-Übertragungen, aber das wäre bei einer solch gigantischen Menge an Musik auch schwer zu bewerkstelligen gewesen. In der Schweiz gab es am Nachmittag ebenfalls ein paar Stunden dieses Global-Feeds und zur Stunde in einer 8-Stunden-Sendung den Rest. In Österreich gab es anscheinend Chaos beim übertragenden Sender ATV Plus, der erst das Wimbledon-Finale der Damen zu Ende übertragen musste. Im Internet hingegen hat man alles bekommen, was man wollte. Zumindest aus London, Paris, Philadelphia, Berlin, Rom und Toronto. Ich habe nie zuvor eine so perfekte Übertragung von Fernsehbildern im Internet gesehen. Die AOL-Streams haben immer funktioniert, immer in sehr sehr guter Qualität und immer sehr sehr schnell abrufbar. Dank des gelungenen Designs der Überblicks-Seite konnte man zwischen den Streams hin- und herschalten, als drücke man die Fernbedieung des Fernsehers. Nur dadurch wurde Live8 für mich zu diesem grandiosen Ereignis. Ich konnte überall dabeisein, alle Bands sehen, die ich wollte. Die Wartezeiten, in denen mal nichts oder nur schlechtes zu sehen war, waren minimal.

Danach:

Live8 ist nicht zu Ende. Bei AOL sollen ab Dienstag alle Konzerte als Videostream zum Abruf bereitstehen. Im Fernsehen wird es noch viele Highlight-Zusammenfassungen geben, vielleicht erscheint ja auch noch eine DVD-Box und in den dunklen Ecken des Internets tauchten zum Teil bereits Minuten nach den Auftritten die ersten Video- und Audio-Mitschnitte bekannter Bands auf. Spätestens morgen oder übermorgen wird man sicherlich auch hier alles bekommen, was man will. Sei es als Video- oder als Audio-File. Ich werde mich zumindest noch lange Zeit an den Tag erinnern. Er war ein Erlebnis!

16 Comments so far

  1. x° on July 3rd, 2005

    Live 8, die Letzte

    Ich gestehe: ich habe nicht zugesehen. Weder auf TV noch als Stream und auch nicht am heimischen Brandenburger Tor. Musste ich auch nicht. Das Zuschauen und Nachfassen hat nämlich in aller Ausführlichkeit der popkulturjunkie erledigt. Die Musik: Ins…

  2. tomblog on July 3rd, 2005

    live8 – der popkulturjunkie

    Das größte Musikereignis ging heute Nacht zu Ende. Und der Popkulturjunkie hat dazu ein hervorragendes Fazit gezogen. Ganz besonders möchte ich auch nochmal die herausragende Leistung des (ungeliebten) Internet-Primus’ AOL hervorheben. Die gut funk…

  3. ecco on July 3rd, 2005

    lieber popkulturjunkie, ohne deinen blog hätte es sicherlich nur halb so viel spass gemacht!
    vom letzten event vor 20 jahren ist mir eigentlich nur die unsägliche rede von udo lindenberg im gedächtnis haften geblieben (“ihr da oben habt doch das rad ab”). er sprach damals schon so antiquiert, dass es einfach nur peinlich war.
    mal schaun, was diesmal hängen bleibt.

  4. solefald on July 3rd, 2005

    so, das war wirklich ein gutes fazit vom PKJ.da ich keinen fernseher hab war ich so oder so angewiesen auf die livestreams und da hier dieser tolle zeitplan regelmässig aktualisiert wurde-vielen dank nochmals-hab ich einfach nichts verpasst.jetzt kann man nur hoffen daß das ganze spektakel auch etwas für die welt bringt

  5. jo on July 3rd, 2005

    Wenn ich jetzt Rummäkler und Berufs-Skeptiker lese, die sich z.B. darüber aufregen, dass diese reichen Künstler aber doch mit teuren Edelklamotten dastanden, könnte ich kotzen. Hallo? Sollen alle barfuss und mit Lumpen bekleidet auftreten?

    Eigentlich bin ich eher Berufsoptimist. Zwangsweise schon.

    Und ja, ich bin tatsächlich der Meinung, dass sich ein Künstler auch mal ein paar Gedanken machen sollte, wo und warum er da auftritt.

    Einfach nur ein BestOf-Set runterzureissen und zwischendrin “Make love not poverty”/”This is the week when poverty can be beaten!”?”-Floskeln auf Glückskeks-Niveau abzusondern, finde ich schlicht erbärmlich.

  6. popkulturjunkie on July 3rd, 2005

    und wenn sie in den klamotten spielen, die sie auf der bühne immer anhaben, heißt das in diesem fall, dass sie sich keine gedanken gemacht haben, wo und warum sie da auftreten?

  7. ecco on July 3rd, 2005

    sie hätten alle ein bisschen diät machen können, damit sie afrikamäßiger rüberkommen (so wie der sänger von velvet revolver) und dazu ein paar bunte hemdchen tragen.
    ehrlich gesagt pfeiff ich auf die glaubwürdigkeit der teilnehmenden musiker, solange die idee dahinter im ansatz gut ist.
    ein paar von den bedenkenträgern waren ja auch (wie immer) dabei: bap, grönedings, etc.

  8. Bzrkr on July 3rd, 2005

    Netter Event, wenn auch musikalisch kaum für mich interessant – aber eine PEINLICHE Message.

    Jedesmal wieder die Mitleidstour und ein Appell – und es ändert nichts. Wir am Fernsehr sind das Klatschvieh, sehr betroffen – und fühlen uns jetzt angesichts dieser caritativen Grundstimmung erstmal besser: “Wir tun was!”

    Es kotzt mich an, dass kein Künstler mal die wirklichen Probleme dieses Kontinents anspricht. Das Regierungen wie Blair auf diesen Zug aufspringen und das nun als nette Werbung missbrauchen, aber selbst die großen Verursacher, Ausbeuter und Bremsen sind.

    Dieser Kontinent braucht keine Geld. Das reden uns die Politiker einiger Staaten gerne ein. Die Staaten bei den dann später fleissig Waffen gekauft werden…

    Dieser Kontinent braucht politische Lösungen, um Völkermord zu bekämpfen. Dieser Kontinent braucht SChutz vor der Ausbeutung durch die “freie Wirtschaft” – um überhaupt eigene Strukturen aufbauen zu können.

    DAS sollte man dann unterstützen. Ganz abgesehen von der günstigen Belieferung mit Aids Medikamenten.

    Aber dieser Event lieferte wiedermal nichts weiter als PLattitüden und den Aufruf mehr Geld zu spenden.

    Das füllt dann wieder die Taschen einzelner – und verschärft die Situation größtenteils noch.

    Also, netter Event – in meinen Augen aber Volksver**schung! PEINLICH? Oder schon Kriminell?

  9. popkulturjunkie on July 3rd, 2005

    dann gehörst du zu denen, die sich mit dem event überhaupt nicht beschäftigt haben oder zumindest die message kein bisschen verstanden haben. es ging eben NICHT darum, irgendwelches geld zu spenden…

  10. jo on July 3rd, 2005

    und wenn sie in den klamotten spielen, die sie auf der bühne immer anhaben, heißt das in diesem fall, dass sie sich keine gedanken gemacht haben, wo und warum sie da auftreten?

    Wenn Bon Jovi & Destiny’s Child in ihrem Standard-Outfit inkl. BlingBling auftreten, zeigt das zunächst einmal, dass sie sich Gedanken um ihre Aussendarstellung gemacht haben. Ist eine Binse.

    Wenn dieses Outfit dann im Kontrast zur Veranstaltung steht (Wobei diese Pauschalität natürlich problematisch ist. Ich verlange ja auch gar nicht, dass sie in Leinensäcken auftreten), zeigt es zudem, dass man sich keine Gedanken gemacht hat und lieber _sein_ eigenes Ding durchzieht, ja. Ich möchte nicht wissen, wieviele Leute sich speziell bei Bon Jovi & DC nur um die Klamotten kümmern.

    Ich habe kein Problem mit der Idee oder der Veranstaltung ansich. Aber es sind halt diesen kleinen Dinge (oder die größeren, wie Auslagerung der “Eden Stage”), die mich nachdenklich auch ein wenig ärgerlich werden lassen.

    Keine Ahnung, ob man das schon mit “westlicher Ignoranz” umschreiben kann oder gleich so aufdrehen muss wie Broder. Aber nun jeden niederzumachen, der Kritik an der achsotollen Veranstaltung übt, finde ich noch schwächer als das pauschale Runterschreiben, was Herr Campino kritisierte.

  11. popkulturjunkie on July 3rd, 2005

    “jeden niederzumachen, der Kritik an der achsotollen Veranstaltung übt” steht mir wahrscheinlich genauso fern wie dir. aber ebenso kann ich leute nicht verstehen, die die veranstaltung pauschal kaputtschreiben, oder heute schon in artikeln fragen, was sie gebracht hat (das kann man vielleicht in ein paar jahren fragen, aber sicher nicht heute) oder sich eben an unwichtigen details wie der kleidungsfrage ergötzen.

    letztlich kann eine solche veranstaltung eben nur mit stars leben. und welche kleidung diese leute anhaben, sollte man wohl ihnen überlassen. aus der kleidung darauf zu schließen, sie hätten sich nicht mit der sache auseinandergesetzt oder es gehe ihnen nur um ihr ego, finde ich etwas sehr überzogen.

  12. jo on July 3rd, 2005

    Diese Pauschalität fand ich auch unangebracht. Auf beiden Seiten.

    Was die Kleidungssache betrifft: Das wollte ich gar nicht so hoch hängen. Daher gibt es den Eintrag ja auch nur im Notizblog und gerade nicht bei Medienrauschen.

    Mir ist klar, dass das eine Marginalie ist, aber es war mir eben aufgefallen (yamb besteht fast ausschließlich aus solchen Marginalien. Komplexere Einträgen landen da nur in “Zweitverwertung”).

  13. popkulturjunkie on July 3rd, 2005

    deine meinung (auch wenn du sie als marginalie verstehst) sei dir ja auch absolut zugestanden. dafür haben wir ja blogs: um subjektive eindrücke zu schildern…

  14. Top 5 on July 3rd, 2005

    Nachlese: Live 8 Livegedanken

    Mit Abschluss des 10-stündigen Konzert-Marathons, der ja eigentlich nur eine Demo und die Auftaktveranstaltung für nachfolgende Events anlässlich des kommenden G8-Gipfels in Edinburgh war, schossen mir gestern auf dem Weg zwischen Siegessäule und B…

  15. Wortfeld » Live 8 heute on July 3rd, 2005

    […] tage.” Nachtrag: Live 8 läuft immer noch, bei AOL als Rebroadcast. Popkulturjunkie schreibt: “Der große Gewinner des Live8-Spektakels war das Internet bzw. AOL.” Lost Remote […]

  16. hike on July 4th, 2005

    kann mich dem fazit groesstenteils nur anschliessen. hat spass gemacht, message angekommen. lediglich die qualitaet des live streams kann ich von mir aus (dsl-anschluss) leider nicht bestaetigen. beim mir hings eigentlich die ganze zeit. schade. aber phoenix war ganz ok und ich hab mir fest vorgenommen den ereigniskanal in den einstelligen ferbedienungsbereich zu verlegen. da haengt grad eigentlich noch zuviel muell rum.

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