ausge”gong”t.

Mit Journalismus haben viele Programmzeitschriften ja heutzutage leider nicht mehr viel zu tun. Und über Fernsehen wird in kaum noch einem Mantelteil dieser Magazine berichtet. Eine löbliche Ausnahme war für mich immer der “Gong”. Als Oma-und-Opa-Blatt verschrien, hat er immerhin noch ein paar Seiten namens “Fernsehen aktuell” bzw. “Medien aktuell”, auf denen über aktuelle Entwicklungen im Fernsehen berichtet wird, hier und da mal eine Quotenanalyse stattfindet und ein paar Nachrichten verbreitet werden. Heute gibt es auf eben diesen eigentlich löblichen Seiten allerdings einen ziemlichen Griff ins Klo.

Ein “Gong”-Redakteur hat dort einen Text über die neue ProSieben-Show “Survivor” verfasst, dem man seinen Zweck vom Einlauftext an sofort anmerkt: Es soll endlich mal wieder das gute alte Trash-Fernsehen in Grund und Boden geschrieben werden. “Big Brother” und dieser ganze Müll. Ist ja alles nicht zu ertragen. Der Autor hangelt sich dabei an einem teilweise hanebüchenen Argumentationsstrang entlang. So kippt er “Survivor”, die meiner Meinung nach beste Realityshow der Welt, die auch haufenweise Fernsehpreise gewonnen hat, mit “Ekel-Exzessen” bei “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!” in einen Topf und wirft ProSieben vor, “ein totgesagtes Format” wiederzubeleben, weil die vorigen Versuche “Das Inselduell” (Sat.1) und “Expedition Robinson” ja schon viele Jahre zurückliegen würden.

Lustigerweise wird dann noch ein älterer Herr vom Grimme-Institut zitiert, der aufsagen darf, dass er die Neuauflage der Show als “sehr unzeitgemäß” empfindet. Zumal ja “‘Big Brother’ in den Fernseh-Niederungen verschwunden” sei. Ich weiß nicht, was genau der Herr meint, aber “Big Brother” lief bis vor Kurzem zwar nicht mit dem riesigen Erfolg vergangener Tage, aber mit durchaus stabilen Quoten bei RTL II. So stabil, dass eine weitere Staffel in Planung ist. Und zu den “Survivor”-ähnlichen Formaten “Das Inselduell” und “Expedition Robinson” sollte man zumindest noch wissen, dass “Das Inselduell” im Jahr 2000 Zielgruppen-Marktanteile von über 20 % bei Sat.1 erzielte – Quoten, die der Sender heutzutage allenfalls noch dann erreicht, wenn ein Fußballspiel übertragen wird. “Expedition Robinson” kletterte im selben Jahr bei RTL II immerhin des Öfteren auf 10 % und mehr – auch das war also keineswegs ein Flop. Vielleicht ist die Idee, “Survivor” mit dem Originalkonzept nach Deutschland zu bringen, ja doch nicht schlecht – aber in die Argumentation des “Gong”-Redakteurs passen Erfolge ja schlecht hinein. Er will lieber schreiben, dass “Survivor” keine Chance hat, weil es ja eine “ausgelaugte Idee” sei.

Das alles wäre ja auch gar nicht so schlimm, ich will dem Redakteur ja seine Meinung durchaus lassen – auch wenn ich sie nicht teile. Richtig schlimm ist aber der Schluss des Textes. Dort schreibt er: “Nach Sichtung der ersten ‘Survivor’-Folgen mag man allerdings kaum glauben, das nach dem Realityfrust der Funke noch mal überspringt. Lernt man doch schon dort: Feuermachen ist echt schwer…”

Er schreibt also, er hätte die ersten “Survivor”-Folgen bereits gesehen und für schlecht befunden. Das ist insofern interessant, weil ich zufällig aus sehr sicherer Quelle weiß, dass nicht einmal ProSieben-Chef Andreas Bartl bisher eine “Survivor”-Folge gesehen hat. Sie sind nämlich noch gar nicht fertig. Erst in der kommenden Woche werden die ersten Episoden fertig. Journalisten haben zu dem Erscheinungstermin des “Gong”-Artikels kein einziges Bewetbgild gesehen, nicht einmal einen Trailer. Ohne Ausnahme.

Man muss sich also allmählich wohl auch vom “Gong” als ernst zu nehmender Programmzeitschrift verabschieden. Schade.

9 Comments so far

  1. Thomas on August 3rd, 2007

    Ich finde den Text im “Gong” auch…. merkwürdig.

    Nur in einem Punkt muss ich widersprechen. Anfang Juli waren laut Aussage von Andreas Bartl die ersten Folgen in Unterföhring.

  2. popkulturjunkie on August 3rd, 2007

    Stimmt nicht. Glaub mir.

  3. Thomas on August 4th, 2007

    Ich geb nur wieder, was Andreas Bartl mir gesagt hat. Was solls. Macht den Braten jetzt auch nicht fett. Glaube jedenfalls auch nicht, dass der “Gong” da schon reinschauen konnte.

  4. Kommissario on August 4th, 2007

    Wenn ich überlege, was für Scheißformate auch schon zich Preise eingeheimst haben (“American Idol”? Es bleibt trotzdem ‘ne Missgeburt von Fernsehsendung!), hat der gute Mann vielleicht gar nicht so unrecht.

    Und “immernoch die beste unter den Realityshows” kann auch genausogut “der am wenigstens stinkende Haufen Scheiße (vielleicht ist der auch einfach nur schon trocken?)” sein.

  5. Torsten Dewi on August 4th, 2007

    Ich habe den Text nicht gelesen – klingt aber sehr Gong-typisch nach konservativer “Das Fernsehen wird ständig blöder!”-Heulerei, die ja auch die BILD (!!!) gerne immer wieder anstimmt.

    ABER: Ich wäre SEHR vorsichtig mit der Aussage, der Autor hätte die Folgen noch nicht sehen können. Oft genug gehen Rohschnitte raus, und Andreas Bartl KANN sich darauf berufen, er habe noch keine “fertige” Episode gesehen.

    Ich argumentiere jetzt mal andersrum: Würde der GONG das Format trashen, hätte ProSieben kein Problem nachzuweisen, dass der Redakteur keinen Zugriff auf die Episoden hatte. Dann gäbe es RICHTIG Ärger.

    Meine Vermutung: Der Redakteur hat Rohschnitte gesehen, oder war bei der Produktionsfirma im Schneideraum.

    So weit hängt sich keiner aus dem Fenster – schon gar nicht beim Gong.

    Disclaimer: Autor hat selber von 1991-1995 beim GONG gearbeitet.

  6. Torsten Dewi on August 4th, 2007

    Nachtrag: “Glaub mir” geht als Argument gar nicht :-)

  7. Florian on August 6th, 2007

    JEDE “Reality”-Produktion ist in meinen Augen per Definiton Müll. Leider erfreuen sich die Formate tatsächlich beständiger Quoten, was hierzulande aus dem Voyeurismus resultiert, der in proportionalem Wachstum zur Lebenslangeweile vieler Mitmenschen grassiert. Prinzipiell gilt doch: Wer sich mehr für das Treiben der Nachbarn interessiert, als für das eigene, der sieht sich auch Reality-Shows an (gefühlte 85% der Deutschen). Der klägliche Rest besitzt entweder keinen Fernseher oder gestaltet sich sein Leben einfach selbst, anstatt Fremden beim Wohnen, Streiten oder “Surviven” zuzusehen.

    Insofern stimme ich – freilich, ohne den Artikel gelesen zu haben – dem Grundtenor im “Gong” durchaus zu. Und: Von Medien für Medien kreierte Preise sind keine schlagende Argumentation.

  8. Faktotum on August 6th, 2007

    Sommer vertritt seine Meinung, die von Dir nicht geteilt wird, die Du ihm aber nicht absprechen m̦chtest Рdas schreibst Du so und das ist auch sehr l̦blich :-) Was soll dann aber Dein Fazit? Konkret: Verabschiedet sich ein Medium wirklich davon, ernst zu nehmend zu sein, wenn darin EIN EINZIGER Text publiziert wird, dessen Aussage Du nicht gut findest?

  9. popkulturjunkie on August 6th, 2007

    @Torsten: Ich weiß, “Glaub mir” klingt nicht überzeugend, aber in diesem Fall weiß ich aufgrund besonderer Umstände, die ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht näher ausführen kann nunmal, dass auch kein Rohschnitt in der \”Gong\”-Redaktion vorliegen konnte.

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