sony hat das internet immer noch nicht begriffen.

Dem einen oder anderen wird es womöglich aufgefallen sein. In der Jochen-Distelmeyer-Konzertkritik unter diesem Eintrag gibt es kein Video des Konzerts mehr. Ich will jetzt mal etwas über den Grund dafür schreiben, weil ich ihn exemplarisch dafür finde, wie eine Industrie sich auch im Jahr 2009 noch nicht den Realitäten anpasst und einem Künstler bessere Chancen auf Erfolg, Buzz und bares Geld verwehrt.

Am Tag nach dem Konzert in Essen hatten ein paar Leute drei oder vier Videos mit neuen Distelmeyer-Songs bei YouTube hochgeladen. Wohlgemerkt: Die Videos hatten keinen überragenden Sound, waren allesamt recht wackelig und meist auch nicht aus der Nähe gefilmt. Aber: Sie gaben einen ersten Eindruck vom neuen Material des Ex-Blumfeld-Kopfes, erhöhten die Vorfreude auf das neue Album sicher auch bei Leuten, die nicht beim Konzert waren massiv und brachten bei anderen die Tatsache, dass Distelmeyer wieder da ist, überhaupt erst in den Kopf.

Zwei oder drei Tage später hat Tonträgerkonzern Sony Music Entertainment alle diese kleinen Video-Dokumente von YouTube löschen lassen. Sie würden ihre Urheberrechte verletzen. Bei mir hinterlässt dieses Vorgehen nur Kopfschütteln, Entsetzen und vor allem Traurigkeit. Egal, nach welchen Künstlern man bei YouTube sucht, es gibt von allen wackelige Live-Videos, niemand scheint sich daran zu stören, denn niemand würde wohl auf die Idee kommen, dass jemand sich eine CD oder einen Download nicht kauft, weil es bei YouTube ja ein wackliges, rauschiges Live-Video gibt.

Womöglich stört sich Sony auch daran, dass neue Songs ins Netz geschwappt sind, bevor sie es wollen. Und damit ihre Marketing-Strategie gestört wird. Doch dann sollen sie Distelmeyer eben seine Vorab-Tour verbieten. Denn welchen Unterschied macht es, ob Hunderte Leute die neuen Songs in Essen, beim Melt, etc. sehen und hören – oder noch ein paarhundert mehr im Anschluss bei YouTube?

Meiner Meinung nach hätten die neuen Songs in den Wochen bis zum Album-Release im September den Buzz erhöhen können, der um das Distelmeyer-Comeback entsteht, hätten die Neugier erhöht, die Vorfreude und hätten – davon bin ich absolut überzeugt – dem Künstler geholfen und nicht geschadet. Stattdessen nun diese betonkopfige Löschaktion, die Fans bei YouTube und in Blogs vor den Kopf stößt und ihnen womöglich sogar Angst macht, weil sie es sich mit einem Konzern wie Sony verspaßen.

Distelmeyer kann man um solch eine unmoderne Plattenfirma wohl nur bedauern.

[Update vom 27. Juli: Wie Lukas Heinser inzwischen berichtet, hat Sony die Videos auf Bestreben des Distelmeyer-Managements sperren lassen. Ich lasse meinen Text dennoch ungeändert als Dokument meiner Enttäuschung stehen, denn an meiner Meinung zu dem Thema ändert sich nichts – egal, ob Management oder Konzern solche Entscheidungen treffen. Ebenfalls bei Lukas Heinser nachzulesen ist übrigens, dass es zu keinen weiteren YouTube-Löschungen kommen soll.]

15 Comments so far

  1. heapifyman on July 26th, 2009

    “Distelmeyer kann man um solch eine Plattenfirma wohl nur bedauern.”

    Wieso? Sony hat das Internet IMHO sehr gut verstanden und ihr Plan geht genau auf. Du beschäftigst dich – womöglich stundenlang – mit dem Verfassen dieses Textes, ein Aufschrei geht durch die Blogosphäre, demnächst noch Top-Meldung bei heise: “Sony lässt Distelmeyer Videos von youtube entfernen!”.
    Mehr Aufmerksamkeit kann man im Netz doch gar nicht für ein neues Produkt erzielen. ;)

  2. westernworld on July 26th, 2009

    ich finde das äußerst begrüßenswert wenn sich sony selbst ins bein schießt, je früher medienkonzerne aller art krepieren desto besser. alles was sie tun ist den unhaltbaren status quo politisch und wirtschaftlich zu zementieren egal ob bertelsmann, burda, springer, time/warner, newscorp, universal oder emi. alles ein und der selbe mist.

  3. popkulturjunkie on July 26th, 2009

    @westernworld: Sorry, aber dieser Kommentar ist nun wirklich noch dümmer als die Aktion von Sony.

    @heapifyman: Das ist die alte These “Jede PR ist besser als keine PR”. Ich halte von der These nicht viel. Ich glaube nicht, dass schlechte Presse, Berichte, Meinungen einem Unternehmen helfen.

  4. Christian on July 26th, 2009

    ist es nicht viel einfacher? weder Distelmeyer noch die Plattenfirma wollen das risiko eingehen, dass leute seine neuen songs in schlechter qualität hören und löschen sie deshalb, weil sie glauben, dass es den Buzz zerstören würde.

  5. DifferentStars on July 26th, 2009

    Sony zeigt immer wieder auf vielen Ebenen, dass sie was das Web 1-2-3.0 hinterher hinken. Liegt auch daran, dass die Entscheidungsstrukturen/ketten innerhalb des Konzerns zu kompliziert sind. Diese Konzertvideos könnten besser als virale Kampagne funktionieren als geplante Werbemaßnahmen. Gerade bei Künstlern, bei denen auch Authentizität im Vordergrund steht. Mit dem Löschen der Videos vermasseln sie sich selbst nur ne gute Mund-zu-Mund-Propaganda.

    Immerhin – im aktuellen Rammstein-Fall wurden gleich viele, die auf den geleakten Song auf Youtube verlinkt haben, abgemahnt. Da ist “nur Löschen” schon die höflichere Variante.

  6. popkulturjunkie on July 26th, 2009

    @Christian: So schlecht war die Qualität nun auch wieder nicht…

  7. Muriel on July 26th, 2009

    Eigentlich sonderbar, dass gerade die nominell kreativen Branchen so überhaupt nicht mit den Veränderungen zurechtkommen und keine andere Antwort entwickeln als zu jammern, abzumahnen und nach dem Gesetzgeber zu schreien. Woran mag das liegen?

  8. BeastyBasti on July 26th, 2009

    Absolut unverständlich, vor allem wo man doch bei vielen Künstlern sogar den positiven Trend vernimmt, kurz vor Erscheinen des Albums bei myspace und Co kostenloses Probehören anzubieten.
    Gerade das bringt doch positive Werbung im Internet und macht neugierig auf das was kommt.

    Memo an mich selbst: Kauf von Sony Produkten meiden!

  9. Lukas on July 26th, 2009

    Hast Du bei Sony bzw. Distelmeyer nachgefragt, auf wessen Initiative das zurückzuführen ist?

    Ich könnte es nämlich recht gut verstehen, wenn man als Musiker nach monatelanger Studioarbeit nicht unbedingt heiß darauf ist, dass wackelige Videos, die “keinen überragenden Sound” haben, für Tausende einen ersten Eindruck von dem neuen Material vermitteln sollen.

  10. popkulturjunkie on July 26th, 2009

    Auf den betroffenen YouTube-Seiten stand, die Videos seien auf Betreiben von Sony Music Entertainment heruntergenommen worden.

    Zudem fände ich eine solche Einstellung etwas seltsam, denn dann könnte man ja gleich auch auf Konzerte verzichten, weil der Sound dort ja auch nicht so ist wie bei den Studioaufnahmen. Und wie gesagt: Soooo schlecht war der Sound der Videos nun auch wieder nicht. Zudem interessieren solche Videos im Vorfeld wahrscheinlich ohnehin nur ehemalige Blumfeld-Fans – und nicht eine breite Masse. Und gerade diese Fans verärgert und enttäuscht man leider mit solchen Aktionen

  11. […] sony hat das internet immer noch nicht begriffen. – popkulturjunkie.de […]

  12. […] Einige dieser Songs wurden – wie heutzutage allgemein üblich – mit Handy- oder Digitalkameras aufgenommen und kurz danach bei YouTube hochgeladen. Dort blieben sie nicht allzu lange stehen: Sie wurden mit Hinweis auf Urheberrechtsverletzungen gelöscht, wie der Popkulturjunkie gestern in einem Eintrag dokumentierte. […]

  13. […] sony hat das internet immer noch nicht begriffen. – popkulturjunkie.de – sony hat das internet immer noch nicht begriffen. Share and Enjoy: […]

  14. Daniel on July 31st, 2009

    Ich stimme der Meinung des Autors voll und ganz zu. Die qualitativ minderwertigen Aufnahmen, welche vorab bereits im Internet kursieren sind meiner Meinung nach sowieso nur Material, welches von den wirklichen Fans rezipiert wird. Diese bekommen dadurch einen ungefähren Eindruck der neuen Musik und sind sicherlich nicht damit begnügt diese Aufnahme online anschauen zu können. Deswegen glaube ich nicht, dass die CD oder MP3 Verkäufe durch solche “Previews” gestört werden können…

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